Lebenswerk zwischen Freiheit und Zwang
Die vorschicksalsanalytische konstitutionsanalytische Forschungsarbeit in Budapest (1919 – 1936)
Leopold Szondi begann seine wissenschaftliche Karriere 1919-1926 als Mitarbeiter von Professor Pál Ranschburg (Graf Apponyi-Poliklinik und Heilpädagogisches und Psychologisches Laboratorium der Hochschule für Heilpädagogik, Budapest). Er veröffentlichte viele Forschungsarbeiten der Endokrinologie, Konstitutionspathologie und Psychometrie.
1927-1941 übernahm Szondi das Staatliche Heilpädagogische Laboratorium für Pathologie und Therapie an der Hochschule für Heilpädagogik in Budapest; er wurde Professor für Psychopathologie und Therapie.
Szondi verwirklichte eine ganzheitliche Heilpädagogik, in der Pädagogen, Biologen und Mediziner eng zusammen wirkten; pädagogische, medizinische, juristische, soziale und religiös-ethische Perspektiven flossen in die Behandlung der Behinderten ein. Es entstand eine mehrdimensionale konstitutionsanalytische, quantitative und qualitative Diagnostik zur Erfassung des Wachstums, der Reife, der somatischen und psychischen Konstitution.
In den Dreissigerjahren wurde die Erbanalyse sein Hauptarbeitsgebiet. Szondi stand mit den bedeutendsten deutschen Erbforschern im wissenschaftlichen Austausch. Es folgten Untersuchungen über den Erbgang des Stotterns. Szondi wollte alle ungarischen Familien mit geistigbehinderten Kindern in Familienkatastern erfassen, verbunden mit umfangreichen Stammbaumanalysen. Motor zu den immensen Erbanalysen und Stammbaumuntersuchungen war die ihn treibende Frage nach den schicksalsbestimmenden Faktoren, welche die Partnerwahl und damit die Krankheitswahl unbewusst lenken.
Die schicksalsanalytische Forschungsarbeit in Budapest (1937-1944)
Die erste schicksalsanalytische Publikation „Analysis of marriages“ (1937) umfasste eine neue Theorie der menschlichen Objektwahl, die nicht nur die Krankheitswahl, sondern darüber hinaus alle schicksalsprägenden Wahlen des Menschen (Wahl der Partner, Freunde, Erzieher, des Berufes, sogar die Art des Todes) in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Nach 1936 wandte sich Szondi den genetischen Grundlagen des Trieblebens, der Triebanalyse und der Triebpathologie zu.
Forschungstätigkeit in Zürich (1946 – 1984)
Ab 1951 folgte die Institutionalisierung der Schicksalsanalyse in nationalen und internationalen Vereinigungen und Arbeitsgemeinschaften.
Zwangs- und Freiheitsschicksal
Ab 1954 differenzierte Szondi den Schicksalsbegriff. Dieser spiegelt neu die bio-psycho-soziale und geistige Ganzheit des Menschen wider.
Ich-Analyse
Im Werk „Ich-Analyse“ (1956) wurden das „Pontifex-Ich“ und die ihm zugeordnete „Glaubensfunktion“ zu Schlüsselbegriffen im Verständnis des Freiheitsschicksals.
Schicksalsanalytische Therapie
Erst ab 1963 trat Szondi als Begründer der Schicksalsanalytischen Therapie auf. Im Lehrbuch „Schicksalsanalytische Therapie“ (1963) veröffentlichte er viele Methoden und Interventionsformen.
Ausgangspunkt der Schicksalstherapie ist eine Mehrgenerationenperspektive. Das familiäre Unbewusste bildet ein unsichtbares Band, das Familienmitglieder sowohl vertikal über Generationen hinweg umschliesst, als auch horizontal die lebenden Familienmitglieder verbindet.
In Schicksalstherapien werden generationenübergreifende unbewusste Loyalitätsverpflichtungen sichtbar, die zum blind befolgten Zwangsschicksal geworden sind.
Schicksalstherapien beinhalten vielfach auch Versöhnungen über die Generationen hinweg.
Was will ich vom Familienerbe und von den Anliegen meiner Familie weiterführen („Familiäre Identifizierung" nach Szondi)?
Was will ich auf keinen Fall weiterreichen („Familiäre Negation")?
Was will ich von den Einseitigkeiten und Übertreibungen in meiner Familie modifizieren?
Wie will ich im Kontext des familiären Erbes mein individuelles Leben gestalten (Wahlschicksal)?